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Der Fürst ohne Frau

Fürstliche Junggesellen im spätmittelalterlichen Reich zwischen dynastischer und persönlicher Handlungsmotivation (1350–1550)

1000 Worte Forschung: Laufendes Dissertationsprojekt im Fach Mittlere und Neuere Geschichte, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (Abteilung Regionalgeschichte mit Schwerpunkt Schleswig-Holstein)

Bündnisse und Zerwürfnisse, Friedensschlüsse und Kriegserklärungen, Dynastiesicherung, Machterhalt und/oder -gewinn – die strategische Heiratspolitik sowie ihre außenpolitische und dynastische Bedeutung als sozialer Mechanismus für das Machtgefüge der Vormoderne ist seit Jahrzehnten ein zentraler Gegenstand der Erforschung der hochadeliger Politik, der immer wieder neue Erkenntnisse hervorbringt.[1] Mit den reichsfürstlichen Witwern, die nach dem Tod ihrer Ehefrauen vorerst oder gar keine erneute Ehe eingingen, wurde zuletzt die Aufmerksamkeit auf ein Phänomen gerichtet, das der immensen Bedeutung des Ehebundes fürstlicher Häuser zuwiderzulaufen schien.[2] Bislang unbeachtet blieben in diesem Sinne weltliche Fürstensöhne, die längerfristig oder nie eine Ehe eingingen, wie Otto II. von Pfalz-Mosbach (1435–1499) und Wolfgang von Anhalt-Köthen (1492–1566), die beide als erstgeborene Söhne nie heirateten. Gründe, die für ein langjähriges Junggesellentum sprechen, liegen ebenso wie die Verbreitung dieser Lebensweise und die politischen, sozialständischen und biografischen Konsequenzen weitgehend im Dunkeln. Lediglich Karl-Heinz Spieß hat in seinem maßgeblichen Werk über Familie und Verwandtschaft im nichtfürstlichen Adel auf die Strategie eines „Ersatzregenten“ aufmerksam gemacht, der zu Lebzeiten des Vaters oder älteren Bruders kein Konnubium einging, um das Haus mit Hochzeit und Ehe nicht finanziell und politisch zu belasten.[3] Stanley Chojnackis Arbeit zu unverheirateten Patriziersöhnen in Venedig sowie Laura Potzuweits Untersuchung der reichsfürstlichen Witwer legen jedoch nahe, dass dieser Hintergrund nicht für alle dieser Fälle eine Erklärung liefert, sondern dass neben ökonomischen und dynastisch-politischen auch persönliche Motive in Betracht gezogen werden müssen.[4]

Das im Herbst 2024 begonnene Dissertationsprojekt zielt darauf ab, das reichsfürstliche Junggesellentum für die Zeitspanne von 1350 bis 1550[5] anhand einer dreigliedrigen Untersuchung erstmals umfassend zu betrachten. Erstens wird die allgemeine Verbreitung des Phänomens anhand einer quantitativen Auswertung von Schwennickes „Europäischen Stammtafeln“[6] erfasst. Berücksichtigt werden alle Fürstensöhne, die entweder nie heirateten oder erst auffallend spät ein erstes Konnubium eingingen. Orientierung erfolgt dabei am durchschnittlichen Heiratsalter der Fürstensöhne von 24 Jahren,[7] das zehn Jahre über dem heiratsfähigen Alter von 14 Jahren liegt, sodass eine weitere Abweichung von über zehn Jahren als erklärungsbedürftig angesehen wird. Nicht beachtet werden Söhne, die für eine geistliche Karriere vorgesehen waren, ausgenommen diejenigen, die in den Laienstand zurückkehrten, aber trotzdem nicht heirateten wie Erich III. von Sachsen-Lauenburg (ca. 1340–1401) und Wolfgang von Pfalz-Neumarkt (1494–1558). Die Auswertung hat ein Gesamtkorpus von 69 Personen ergeben – darunter prominente Persönlichkeiten wie Kaiser Friedrich III. (1415–1493) und Kurfürst Friedrich III. der Weise von Sachsen (1463–1525) –, von denen 39 nie verheiratet waren.[8] Auffällig ist, dass in manchen Dynastien besonders viele Junggesellen zu finden sind (Askanier 22, Wittelsbacher 17).

Zweitens werden anhand aussagekräftiger Beispiele auf Basis verschiedener Quellengattungen wie Briefe, Chroniken und Urkunden die verschiedenen Hintergründe, die der langjährigen Ehelosigkeit zugrunde liegen, beleuchtet. Die Junggesellen sollen dabei im Sinne der Historischen Anthropologie als handelnde Individuen wahrgenommen werden. Der Mensch lebt zwar eingebunden in soziale Ordnungen – hier Zugehörigkeit zu Dynastie und Familie und die Verantwortung für die eigene Herrschaft –, ist aber keinesfalls zu einem passiv agierenden „Agenten der herrschenden Strukturen“[9] zu deklassieren, weshalb die gesuchten Gründe innerhalb eines Spannungsfeldes zwischen dynastischer Räson und Individualität zu finden sind.

Wiederum anhand markanter Beispiele erfolgt drittens eine Betrachtung der Handlungsmöglichkeiten und -grenzen der fürstlichen Junggesellen auf Basis des von Oliver Auge entwickelten methodischen Konzepts zur Analyse von Handlungsspielräumen fürstlicher Politik. Anhand der Koordinaten Raum, Wirtschaft und Finanzen, verfassungsrechtliche Stellung, Dynastie und Familie sowie fürstliches Rangbewusstsein und dynastische Repräsentation werden die Konsequenzen der langjährigen Ehelosigkeit sichtbar gemacht.[10] Mit seinem Konzept verfolgt Auge das grundlegende Ziel, „sozial-, kultur- und politik-/verfassungshistorische Gesichtspunkte komplementär und gleichrangig“ zu berücksichtigen, was er plakativ als „political return innerhalb des cultural turn“[11] bezeichnet. Mittels einer solchen Analyse der fürstlichen Handlungsspielräume kann Peter Moraws noch immer gültige Forderung nach einer verfassungsgeschichtlichen Grammatik, die „typische Konstellationen fürstlichen Handelns“[12] samt ihrer Regelhaftigkeit aufdeckt, im Sinne einer Kasuistik, also durch die Untersuchung von Beispielen fürstlichen Handelns unter Berücksichtigung der Individualität der Handelnden, entsprochen werden.[13] Ein zentrales Anliegen dieses Dissertationsprojekts ist es folglich, die Erforschung des spätmittelalterlichen Reichsfürsten und ihrer Handlungsspielräume im Sinne einer solchen „Grammatik“ um einen weiteren relevanten Aspekt voranzubringen.

Zudem greift die Arbeit wichtige Anliegen der Geschlechtergeschichte auf. Die Erforschung mittelalterlicher Männlichkeitskonzepte berücksichtigte Ehelosigkeit bisher überwiegend im Zuge geistlicher Lebensentwürfe, während sie im weltlichen Bereich vermehrt als „Zwischenstatus“ vor dem angestrebten Ziel der Ehe und der Zeugung legitimer Nachkommen in Erscheinung trat.[14] Zurecht beklagte Jeremy Goldberg bereits im Titel seines Aufsatzes das Desiderat: „Desperately Seeking the Single Man.“[15] Mit dem Bestreben, reichsfürstliche Junggesellen erstmals einer umfassenden Untersuchung zu unterziehen, und den damit verbundenen Fragen nach Auswirkungen auf die Repräsentation und Außenwahrnehmung der Fürsten, denen möglicherweise eine andere Vorstellung von Männlichkeit entgegengebracht wurde, leistet die Arbeit einen geschlechtergeschichtlichen Beitrag und kann einen wichtigen Impuls für eine tiefgründige Auseinandersetzung mit weltlicher Ehelosigkeit setzen.

 

[1] Vgl. Dynastizismus und dynastische Heiratspolitik als Faktoren europäischer Verflechtung, hrsg. von Heinz Duchhardt (Jahrbuch für Europäische Geschichte, 8), München 2007; Frederieke Maria Schnack, Die Heiratspolitik der Welfen von 1235 bis zum Ausgang des Mittelalters (Kieler Werkstücke. Reihe A. Beiträge zur schleswig-holsteinischen und skandinavischen Geschichte, 43), Frankfurt [u.a.] 2016.

[2] Vgl. Laura Potzuweit, Zwischen dynastischer Räson und persönlichen Beweggründen: Fürstliche Witwer und ihre Handlungsspielräume im spätmittelalterlichen Reich (1250–1550), Diss. Kiel 2023, [in Vorbereitung].

[3] Vgl. Karl-Heinz Spieß, Familie und Verwandtschaft im deutschen Hochadel des Spätmittelalters, Stuttgart 22015, S. 208.

[4] Vgl. Stanley Chojnacki, Subaltern Patriarchs. Patrician Bachelors in Renaissance Venice, in: Medieval Masculinities Regarding Men in the Middle Ages, hrsg. von Clare A. Lees (Medieval Cultures, 7), Minneapolis 1994, S. 73–90; Potzuweit, Zwischen dynastischer Räson (wie Anm. 2).

[5] So ist es möglich das Phänomen in seiner historischen Entwicklung zu betrachten und mögliche dynastische Traditionen erkennen zu können.

[6] Europäische Stammtafeln. Neue Folge: Stammtafeln zur Geschichte der europäischen Staaten, 28 Bände, hrsg. von Detlev Schwennicke, Marburg/Frankfurt 1986–2013.

[7] Potzuweit, Zwischen dynastischer Räson (wie Anm. 2).

[8] Aufgrund unpräziser Heirats- oder Lebensdaten in den Stammtafeln konnten 42 Fürstensöhne noch nicht eindeutig dem Personenkorpus zugeordnet werden.

[9] Winfried Freitag, Haushalt und Familie in traditionellen Gesellschaften. Konzepte, Probleme und Perspektiven der Forschung, in: Geschichte und Gesellschaft 14 (1988), S. 5–37, hier S. 18f.

[10] Vgl. Oliver Auge, Handlungsspielräume fürstlicher Politik im Mittelalter. Der südliche Ostseeraum von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis in die frühe Reformationszeit (Mittelalter-Forschungen, 28), Ostfildern 2009, S. 6–8.

[11] Ebd., S. 6.

[12] Peter Moraw, Landesgeschichte und Reichsgeschichte im 14. Jahrhundert, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 3 (1977) S. 177.

[13] Vgl. Auge, Handlungsspielräume (wie Anm. 10), S. 9.

[14] Vgl. Ruth Mazo Karras, From Boys to Men. Formations of Masculinity in Late Medieval Europe (The Middle Ages Series), Philadelphia 2003, S. 16.

[15] Jeremy Goldberg, Desperately Seeking the Single Man in Later Medieval England, in: Single Life and the City 1200–1900, hrsg. von Julie de Groot, Isabelle Devos und Ariadne Schmidt, Basingstoke 2015, besonders S. 117–119.


D O W N L O A D

(PDF/A-Version)


Empfohlene Zitierweise / Suggested Citation: Benedikt Schmitt, Der Fürst ohne Frau. Fürstliche Junggesellen im spätmittelalterlichen Reich zwischen dynastischer und persönlicher Handlungsmotivation (1350–1550), in: Mittelalter. Interdisziplinäre Forschung und Rezeptionsgeschichte 8 (2025), S. 1–3, DOI: https://doi.org/10.26012/mittelalter-35276.


Dieser Artikel wurde redaktionell betreut von Karoline Döring und Björn Gebert. 

Benedikt Schmitt

Seit Oktober 2024: Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Abteilung für Regionalgeschichte der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel; Oktober 2021 bis August 2024: Masterstudium im Fach Mittelalter- und Frühneuzeitstudien an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz; April 2020 bis September 2024: Masterstudium im Fach Geschichte mit Schwerpunkt Neuzeit; April 2017 bis Januar 2021: Bachelorstudium in den Fächern Geschichte und Politikwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

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Benedikt Schmitt (24. Januar 2025). Der Fürst ohne Frau. Mittelalter. Abgerufen am 13. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/135jq


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